Ins rechte Licht gerückt - Lichttechnik im Zirkus
- Daniel Burow
- 23. Mai
- 5 Min. Lesezeit

Zirkus in allen seinen Formen ist ein Gesamtkunstwerk. Erst wenn die Bewegungen der Artisten kongenial mit der Musik harmonieren, wenn die Atmosphäre stimmt und das Licht die richtige Balance zwischen Fokus und Spektakel findet, dann entfaltet eine Show ihre volle Wirkung. Die Wirkung jeder einzelnen Komponente zu verstehen und zu durchdenken, ist der Schlüssel zu einer guten Show.
In diesem Artikel soll es um die Komponente Licht gehen. Bühnenlicht hat seit der Einführung und rasanten Entwicklung der LED-Technik eine wahre Revolution erfahren – und das in zweierlei Hinsicht. Zum einen sind die kreativen Möglichkeiten durch Technologie drastisch gestiegen, zum anderen der Stromverbrauch als Kostentreiber enorm gesungen.
Große Bühnenshows und Konzerte setzen heute Maßstäbe, die die Sehgewohnheiten des Publikums bestimmen. Doch nicht immer ist es das große Spektakel, auf das es ankommt. Oft hilft Licht auch dabei, den Fokus auf den Künstler zu setzen, Intimität zu erzeugen.

Zirkus stellt an Bühnenlicht besondere Herausforderungen. Große Bilder und intime Szenen wechseln oft rasant ab. Hinzukommt häufig ein 360°-Setting, bei dem klassische Bühnenlichtkonzepte von Front und Back Light, von optimalen Winkeln und Scheinwerferanordnungen an ihre Grenzen stoßen. Zirkus nutzt zudem alle Dimensionen des Raums und gerade bei riskanten Tricks ist das richtige Licht nicht nur schöner Effekt, sondern auch ein Sicherheitsfaktor.
Der ungarische Lichtdesigner Atilla Lenzsér kennt sowohl die Welt der Konzerte und anderer Großevents als auch die des Zirkus. Ich traf ihn nach einer Show der Budapester Company Recirquel, für die er das Licht kreiert hat. „Während die Bühnenbeleuchtung die üblichen Erwartungen erfüllen muss – wie etwa die Aufmerksamkeit des Publikums zu lenken und die Ästhetik zu unterstützen – muss ich oft auch die besonderen Anforderungen der Artisten erfüllen“, beschreibt er die besonderen Herausforderungen bei Zirkusproduktionen. „Zum Beispiel Zusatzscheinwerfer zum Balancieren, die das Raumgefühl und die Orientierung auf der Bühne verbessern und gleichzeitig das visuelle Erlebnis für das Publikum angenehm gestalten. Bei einer klassischen Theateraufführung würde man nie ein Licht an die Decke richten, doch bei einer Zirkusnummer kann es tödlich enden, wenn ein Artist den anderen, den er auffangen muss, nicht sieht, wenn der von oben fällt.“
Hinzu kommen die besonderen Bedingungen des Reisens. Reist eine Show von Theater zu Theater, dann gilt es, sich immer wieder auf neue Lichtpläne der Häuser einzustellen und oft zu improvisieren. Reist ein ganzer Zirkus, dann ist das Material konstant, aber den Belastungen des Tourbetriebs ausgesetzt. Besonders bewegte Lichtquellen, die Moving Heads, haben auf Tour Vor -und Nachteile. Einerseits ist es ideal beim häufigen Auf- und Abbau, wenn die Lichtanlage nicht jedes Mal durch aufwändiges Nachjustieren fixer Scheinwerfer neu eingerichtet werden muss. Das geht bei Moving Heads bequem vom Lichtpult aus. Andererseits sind die oft Tausende Euro teuren Geräte aber sehr empfindlich für Staub, Feuchtigkeit oder Bewegung.

Ich persönlich finde es unglaublich spannend, sich mit der Beleuchtung für eine Show zu befassen. Es ist eine Schnittstelle von Technologie und Kreativität. Es geht darum, Emotionen zu erzeugen aus einem Baukasten der Möglichkeiten. Dieser Baukasten ist sehr strukturiert und mehr oder weniger eng eingegrenzt.
Moderne Lichtanlagen werden via DMX gesteuert. Dies ist ein Datenübertragungsprotokoll, bei dem alle Elemente, d.h. alle Lichtquellen, in einer Reihe angeordnet sind und in der Reihenfolge eine Adresse zugewiesen bekommen. Ist die Reihe an irgendeiner Stelle z.B. durch ein inkorrekt gestecktes Kabel unterbrochen – was bevorzugt an Abenden vor der Premiere vorkommt – spielt die Lichtanlage schonmal mit bunten Farben verrückt.
Im Baukasten sind oft bewegliche und unbewegliche Lichtquellen. Bei den Moving Heads hat man sogenannte Wash Lights für ein diffuses Ausleuchten sowie Spot und Beam Moving Heads für scharte Lichtkegel und -punkte. Dazu kommt oft der feine Dampf eines Hazers, der die Lichtstrahlen erst so richtig sichtbar macht.
Aus einzelnen Gruppen von Moving Heads lassen sich Muster programmieren, die sich später beliebig mit Farben oder anderen Lichtquellen zur jeweiligen Lichtstimmung kombinieren lassen. Ein Einzelner Zirkusact kann dabei schnell auf etliche Lichtstimmungen kommen. In der Show werden die Lichtstimmungen dann der Reihe nach abgerufen - manuell per Knopfdruck, synchron mit der Musik gesteuert oder bei technisch sehr aufwändigen Shows gar vollautomatisch per Zeitstempel.
Damit wäre der Standardbaukasten beschrieben. Doch was ist schon Standard, wenn wir über Kunst reden? Zurück nach Budapest, zurück zu Recirquel. Für die avantgardistischen Kreationen des Regisseurs Bence Vági und seinen Stil des „Cirque Danse“ spielt Licht eine wichtige Rolle. In der Produktion „Solus Amor“ etwa, die ich vor meinem Gespräch mit Atilla Lenzsér erleben durfte, wird viel mit Back Light gearbeitet, das eine besonders mystisch-entrückte Atmosphäre erzeugt. Hinzu kommt ein besonderer Clou: Ein Vorhang hinter den Artisten kann durch ein Raster von ansteuerbaren Gebläsen in wellenartige Bewegung versetzt werden. Die Bewegung wechselwirkt mit dem Licht – ein besonders plastischer Effekt entsteht.

Auch für das Spiel von Licht und Schatten, von Fokussieren und Ausblenden, ist „Solus Amor“ ein wunderbares Beispiel. Manchmal scheinen Akrobaten völlig aus dem Nichts in Erscheinung zu treten – und manchmal wirkt eine Solodarbietung so, als stünde um sie herum die Zeit still.
„Das Licht Design der Cirque-Danse-Aufführungen von Recirquel ist von extremem Minimalismus und Anmut geprägt und wir verwenden hauptsächlich eine große Palette an Weißtönen“, beschreibt Lenzsér den Stil. Und in der Tat kommt das Licht auch in „Solus Amor“ ganz ohne bunte Farben aus. Eine entscheidende Wirkung hat dagegen die Farbtemperatur: „Wir spielen mit den unterschiedlichen Farbtemperaturen von Weiß und erzeugen so vielfältige visuelle Stimmungen auf der Bühne.“
Auch hier kommt der technologische Fortschritt zum Tragen. In ihren Anfängen war die LED-Technik für kaltes, steriles Licht verschrien. Die Zeiten sind vorbei, bei modernen LEDs lässt sich die Temperatur des Weißtons sogar stufenlos einstellen – was besonders harmonische Effekte ermöglicht. Eine weitere Innovation, die aktuell für Recirquel eine Rolle spielt, sind bewegliche Licht-Bars, die für ein sehr gleichmäßiges Back Light eingesetzt werden.

Bei Recirquel ist das Lichtdesign bereits in der frühen Kreationsphase einer neuen Show ein integraler Bestandteil, wie mir Lenzsér erklärt: „Bei jeder neuen Produktion testen wir zunächst verschiedene Lichtarten an den einzelnen Elementen des Set Designs, um zu sehen, wie sie aufeinander reagieren und welche Effekte sie zusammen erzeugen.“ Dies kann schon Jahre im Voraus beginnen, lang bevor dann die Probenphase beginnt: „Während der ersten Probenphase entwickle ich, ergänzend zu den Visionen des Regisseurs, auch meine eigenen Lichtideen. In den letzten zwei bis drei Wochen proben wir dann mit der kompletten Lichttechnik, sodass wir in der finalen Vorbereitungsphase im Theater nur noch den letzten Schliff vornehmen müssen.“
„Solus Amor“ tourt wie die meisten Recirquel-Produktionen durch feste Häuser, ist für die Theaterbühne konzipiert. Da kommt es schon mal vor, dass das gewünschte Equipment einfach nicht in den Veranstaltungsort passt. Dann gilt es wieder kreativ zu werden. „Wir bemühen uns, Anpassungen so vorzunehmen, dass die Bühnenansicht so weit wie möglich mit dem Original übereinstimmt“, erzählt Lenzsér.
Keine Frage, Recirquel ist ein Paradebeispiel dafür, wie man im Zirkus mit Licht erzählen kann. In klassischeren Zirkus-Shows steht indes meist mehr die Opulenz, der Wow-Effekt, im Vordergrund. Das Licht ist bunter, in der Ästhetik an Popkonzerte angelehnt. Manche Zirkusse, wie etwa der Schweizer Nationalcircus Knie oder der französische Cirque Arlette Gruss, sind dabei Vorreiter und müssen den Vergleich zu Großevents nicht scheuen.

Dass Zirkus an vorderster Front steht bei Innovationen in der Lichttechnik, hat übrigens eine sehr lange Tradition. Im Jahr 1879, im Jahr der Erfindung der Glühlampe durch Thomas Edison, war bereits der „Cooper and Bailey's Great London Circus“ der erste Zirkus mit elektrischem Licht. Wenige Jahre später ging Bailey seine Partnerschaft mit P.T. Barnum ein, aus der die berühmte „Greatest Show on Earth“ entstehen sollte – mit elektrischem Licht als Attraktion der Anfangsjahre. Seitdem sind viele Jahre vergangen, doch das elektrische Licht in all seinen Facetten sorgt noch immer für Faszination im Zirkus.
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