Zirkus Charles Knie – Mit Wasserzirkus zu neuen Erfolgen
- Daniel Burow
- 13. Mai
- 5 Min. Lesezeit

Wer kann sich schon dem Zauber eines Zirkuszeltes entziehen, das heute hier und morgen dort aufgebaut wird, das für begrenzte Zeit ein Ort zum Staunen und Träumen wird, wo zuvor nur eine leere Wiese war? Keine Frage, der klassische Tourneezirkus ist und bleibt für mich die Paradedisziplin der Zirkuswelt.
Wohl kaum ein Land ist reicher an reisenden Zirkusunternehmen als Deutschland. Doch die Großen, die für ihre Programme Artisten engagieren und auf Tour mit der Qualität der allerorts boomenden Weihnachtscircusse mithalten können, sind rar geworden. Ihr Geschäftsmodell ist in den vergangenen Jahren im Umbruch. Wer mit hochwertigen Programmen auf Tour gehen will, braucht mehr denn je ein überzeugendes Konzept, das sich von anderen abhebt und in die heutige Zeit passt.
Ein gelungenes Beispiel für eine Transformation ist der Zirkus Charles Knie, der seit nunmehr vier Jahren mit dem Konzept des Wasserzirkus reist – und das mit großem Erfolg.
Ich erinnere mich an ein Gespräch Direktor Sascha Melnjak wenige Jahre zuvor, in dem er die langfristige Tragfähigkeit des Reisebetriebs durchaus kritisch sah. Neben dem Tourneebetrieb betreibt er auch die Weihnachtscircusse in Heilbronn und Offenburg, die zu den publikumsstärksten in Deutschland gehören. Der Kontrast zwischen Erfolgen in der Weihnachtszeit einerseits und immer schwierigerem Tourneegeschäft andererseits wurde über die Jahre immer größer.

Dann sollte ein Wendepunkt kommen: die Zeit der Corona-Pandemie. Heute blickt Melnjak auf diese herausfordernde Zeit auch als eine Zeit der Reflektion zurück. „Auf Tournee waren wir vom Tagesgeschäft immer so vereinnahmt, da blieb wenig Zeit zum Nachdenken und für neue Ideen“, erklärt er. Während der Pandemie ruhte der Reisebetrieb, stattdessen baute man, als das Leben im Land langsam wieder startete, am Stammsitz im niedersächsischen Einbeck mit dem „Circusland“ einen regionalen Freizeitpark mit Spielmöglichkeiten für Kinder, Biergarten und Shows auf.
In der Zeit des Stillstandes kam ein Anruf, dessen Auswirkungen auf sein Geschäft er damals noch nicht erahnen konnte. Die Artistenfamilie Urunov, mit der man schon zu früheren Zeiten zusammengearbeitet hatte, erzählte von einer Wasserbühne, die man selbst konstruiert und gebaut hatte. Es ist eine technische Meisterleistung mit etlichen Düsen unter einer durchlässigen Bühnenfläche, mit Vorratsbassin darunter und der Möglichkeit diverser von elektrischen Pumpen gesteuerter Fontäneneffekte. Für diese Konstruktion suchten die Urunovs einen Ort zum Ausprobieren und Sascha Melnjak willigte ein, sie in Einbeck aufzubauen.
Die Zeit war günstig, der trotz Corona beim Zirkus verbliebene Teil der Mitarbeiter hatte nicht viel zu tun, die Urunovs ohnehin kein Engagement. Also wurde die Wasserbühne eine Attraktion im Circusland. „Schön, aber nichts für die Reise“, sagte Sascha Melnjak damals. Zu komplex sei die Technik, zu aufwändig ihr Auf- und Abbau. Dass er seine Einschätrzung revidierte und es probierte, lag an dem wachsenden Gefühl, dass eine Änderung hermusste, wenn es nach Corona mit dem Tourneebetrieb weitergehen sollte. „Erst habe ich daran gezweifelt, ob es überhaupt nochmal weitergehen würde“, gesteht er, „einen ganzen Zirkus von Null wieder hochzufahren, ist extrem schwierig.“ Damals war unklar, ob langjähriges Stammpersonal wieder zum Zirkus zurückkehren würde, das Material stand lange. Aber Sascha Melnjak fühlte sich den verbliebenen Mitarbeitern schuldig, weiterzumachen. Also mussten Ideen her.

Vor Corona reiste der Zirkus Charles Knie mit einem traditionellen tierreichen Programm. Bei aller Liebe für dies Art von Zirkus, die Sascha Melnjak noch immer in sich trägt, wurde das Geschäft immer schwieriger. Das Publikum sah Tiere im Zirkus mehr und mehr kontrovers, Medienpartner und Kunden für Galas blieben aus, in den Medien kam Gegenwind. „Das Image war angegriffen“, erinnert er sich, „wir hatten es ganz schwer, den großen Betrieb wirtschaftlich am Laufen zu halten.“
Das Experiment Wasserzirkus brachte den „Turnaround“, wie man es in der Welt der Manager ausdrücken würde. Auf der ersten Tournee nach Corona wagte man es, die Wasserbühne mit auf Tour zu nehmen. „Es war eine verkürzte Tour, wir starteten erst im Juni“, so Melnjak, „wir dachten, das bekommen wir schon irgendwie hin und probieren es einfach aus.“

Technisch war es eine Herausforderung. Die Bühne ist eigentlich nicht für das Reisen konzipiert. Ihr Aufbau dauert so lang wie der von Zelt und Tribüne zusammen. Die Technik ist anfällig für Fehler. Einmal passierte beim Einlass ein Schaden im Schaltschrank und nichts ging mehr. Gerade noch rechtzeitig konnte das Problem gefunden und gelöst werden, damit die Vorstellung wie geplant stattfinden konnte.
Doch die Mühen lohnten sich, das Experiment schlug sofort ein. Heute ist Sascha Melnjak sich sicher, dass sein neues Konzept Publikumsschichten erschließt, die dem Zirkus vorher fernblieben. Es seien mehr junge Menschen im Publikum, zudem entfalte die Mund-zu-Mund-Propaganda viel mehr Wirkung. Früher seien die Besucher zwar auch begeistert gewesen, aber nicht mit dieser Euphorie. Und die sei Voraussetzung dafür, dass die Besucherzahlen über ein Gastspiel hinweg steigen: „Das Konzept ist heute ein Garant, dass wir zum Ende des Gastspiels ausverkauft sind“.
Ein Teil des Erfolgs ist sicherlich auch, dass von Anfang an nicht einfach nur eine Wasserbühne installiert, sondern die ganze Art das Programm zu produzieren umgestellt wurde. Wurden früher die Shows nach dem Eintreffen der Artisten eine Woche vor der Premiere zusammengestellt, werden heute schon im Sommer Ideen für die Show des nächsten Jahres entworfen, Kostüme in Auftrag gegeben, Musik zusammengestellt. Alles folgt einem opulenten Revuestil.

Die Marketingstrategie blieb indes weitgehend unverändert. Man bespielt weiterhin alle klassischen Kanäle von Plakatwerbung über Zeitungsbeilagen bis zu Postwurfsendungen – und Social Media hat einen hohen Stellenwert. So zeigt der plötzliche Anstieg der Zuschauerzahlen auch, dass es eben doch auf die Show, auf das Produkt, ankommt.
Mit einer Abkehr vom Zirkus mit Tieren wirbt man bei Charles Knie bewusst nicht, das ist Sascha Melnjak wichtig. Tiere spielen noch immer eine Rolle in der Show, seit Beginn des neuen Konzepts tritt Laura Urunova mit ihren Papageien und Hunden auf. Das findet offenbar mehr Akzeptanz als die Arbeit mit Großtieren. Und doch macht das Fehlen von Pferdestallungen und Tierzelten hinter den Kulissen etwas mit dem Zirkus. Es sei etwas verloren gegangen von dieser Welt, es sei nüchterner geworden auf dem Zirkusplatz. „Mit den Tieren war das irgendwie vollständiger“, stellt Sascha Melnjak nicht ohne etwas Wehmut fest.

Und doch war es für ihn die richtige Entscheidung – und eine, die noch für weitere Jahre tragen soll. Für diese Saison hat man viel in aufwändige Kostüme investiert. Damit sich die Investitionen auszahlen, müsse die Show noch weiterlaufen. Was danach einmal kommt, das ist noch nicht klar. Doch haben die letzten Jahre für Sascha Melnjak die Gewissheit bekräftigt, dass Tourneezirkus eine Zukunft hat.
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