20 Jahre „Manegenjubiläum“, ununterbrochen im selben Unternehmen, das ist eine absolute Seltenheit in der Circuswelt. Grund genug, Roncallis poetische Weißclown Gensi zu einem Gespräch in Wien zu treffen – über sein Leben und seine Sicht auf das Clownsein. Schon am Vorabend des vereinbarten Treffens telefonieren wir. „Komm doch in der Pause vorbei, dann lernen wir uns schon mal kennen“, schlägt er vor, „Garderobe 93, noventa y tres“. An diesem Abend stellt Gensi mir mehr Fragen als ich ihm. Vielleicht ist es dieses besondere Interesse an Menschen, das ein guter Clown haben muss, um den Draht zu seinem Publikum zu finden.
Es ist der nächste Vormittag, ein regnerischer Tag in Wien. Gensi kommt gerade von einer der vielen Ausstellungen in der österreichischen Hauptstadt, die er als Kunstliebhaber so schätzt. Nach einem gemeinsamen Abstecher zur Konditorei unweit vom Rathausplatz – von der ihm wohl bekannten Bedienung Doris kauft ein paar Stücke seiner Lieblingsorte - geht es zum Gespräch in seinen liebevoll eingerichteten Oberlichtwohnwagen.
Wie wurde aus dem Theaterschauspieler Fulgenci Mestres der Weißclown Gensi? Es fing an mit Joan Montanyès und dessen 1996 gegründeten Künstlerkollektiv „Monti i Cie“. Für „Monti“, der sich intensiv mit den Ursprüngen und Charakteren der Clownerie, die sich zur Commedia dell’Arte zurückverfolgen lassen, beschäftigt hat, stand sofort fest: Gensi ist der Weißclown. „Du bist damit geboren“, ist Gensi sich heute sicher. Damals hatte er noch keine Ahnung, als Schauspieler sei er gewohnt gewesen, dass 80% von ihm auf der Bühne Kunst ist, nur 20% er selbst. „Bei einem Clown ist es genau andersherum, da sind 80% du selbst.“ Seine Entwicklungsstadien als Clown misst er genau daran. Bis jetzt habe er 70%, vielleicht auch nur 60% erreicht.
2005 wurden „Monti i Cie“ dann für das Tourneeprogramm bei Roncalli engagiert – und Gensi hat sein bis heute währendes künstlerisches Zuhause gefunden. „Roncalli ist der beste Ort für einen Clown“, sagt er dankbar. 20 Jahre – vermutlich währte die lange Zusammenarbeit auch daher, dass der Weißclown zu einer aussterbenden Art gehört. Wer einen Clown ins Programm nehmen, um das Publikum zum Lachen zu bringen, der denkt zunächst an einen August – du belässt es aus nicht zuletzt aus Kostengründen oft dabei. Für Gensi steht aber fest, dass der August nicht ohne seinen Gegenspieler auskommt. Unsere europäische Kultur sei dualistisch, das eine können ohne sein Gegenteil nicht existieren, „es gibt das Dionysische nicht ohne das Apollinische“, drückt er es mit Nietzsche aus. Deshalb schlüpften auch andere Clowns immer wieder, situationsabhängig, in eine Weißclownrolle. Er nennt Eddie Neumann, David Shiner und Peter Shub als Beispiele – und auch David Larible.
Die Frage nach seinem Lieblingspartner in 20 Jahren Roncalli beantwortet Gensi ohne jedes Zögern mit eben jenem David Larible, mit dem er von 2006 bis 2012 in der Manege stand. Wenn er die Schlussszene schildert, wie Larible nach dem Finale wieder vom Clown zum normalen Zuschauer transformiert wird, wie er ihn mit väterlicher Geste dennoch wieder den Weg ins Scheinwerferlicht der Circusmanege weist, da stehen Gensi die Tränen in den Augen.
Auch zwischen Gensi und Larible beiden haben sich die Rollen manchmal ganz natürlich vertauscht. „Manchmal in unserem Leben sind die Kinder die Erwachsenen“, erklärt er, „hast du nicht auch mal zu deinen Eltern gesagt ‚du bist ein Kind‘?“ Für Gensi sind ohnehin alle im Publikum Kinder. Er zitiert seinen großen Weißclownkollegen Francesco Caroli: „Lassen Sie ihren Kummer draußen. Werden Sie Kind, werden Sie Clown“.
In dieser Kindwerdung, Clownwerdung des Publikums sieht er seinen Auftrag, den er mit dem Wirken eines Alchemisten vergleicht. Dieser verwandle einen Stein in Gold, mache ihn besser. Nichts Geringeres versuche er – „mit einer Geste, einem Blick, eine, Wort, einem Lied“. Nach der Vorstellung gingen die Leute anders aus dem Zelt heraus – besser. „Das ist Seelenalchemie.“
Zurück zu David Larible – und zurück zu Gensis Wurzeln. Denn die beiden bespielten gemeinsam nicht nur die Roncalli-Manege, sondern auch zahlreiche Theaterbühnen. Produziert von Alessandro Serena, einem Pionier darin, Circus auf Theaterbühnen zu bringen, gingen sie während der Winterpausen mit einer Duo-Sow auf Tourneen. Im Theater, so Gensi, sei die Konzentration beim Publikum eine ganz andere. Im Circus dagegen gehe es lockerer zu. Und was ist mit der vielbesagten „vierten Wand“ zwischen Publikum und Auftretendem? „Die musst du kaputt machen“, erwidert er, etwa indem man nicht nur auf der Bühne, sondern auch im Zuschauerraum spielt. Im Circus sei man so oder so mitten drin, allein, und „auch der Rücken muss sprechen“.
Eine Präferenz hat Gensi nicht, er fühlt sich auf der Bühne und in der Manege gleichermaßen zu Hause – obgleich er sich von der Theaterwelt mehr Wertschätzung für Clownerie wünscht. „Der Clown existiert schlicht nicht in der orthodoxen Theaterlehre“, stellt er fest, „dabei kommt der Clown aus er Commedia dell’Arte und die bildet die Grundlage vom ganzen Theater in Europa.“ Er zählt große Namen wie Shakespeare und Moliere auf, die einst allesamt Compagnien der Commedia dell’Arte angehörten.
Inspiration schöpft Gensi nicht nur aus dem Wissen um die Ursprünge. Er möchte mir nun seinen Schatz zeigen, sagt er mir schon bei unserem Kennenlernen. Der Schatz ist ein prall gefüllter roter Leitz-Ordner mit Zeichnungen und Bildern, die Kinder über die Jahre für ihn angefertigt haben. Wir könnten so viel von Kindern lernen, zeigt sich Gensi fasziniert von den bunten Zeugnissen kindlicher Kreativität. Und letztlich sei Circus doch vielleicht der einzige Ort, an dem wir wieder Kind sein können.
Am Abend nach unserem Gespräch sehe ich Gensi dann noch einmal – jetzt kreideweiß geschminkt und im prachtvollen Weißclownkostüm. In der Vorstellungspause dann klopft jemand am Wagen 93 – es ist Doris. Doris, die Konditorin, bei der wir am Morgen die Torte gekauft hatten. Mit einem zufriedenen Lächeln schwärmt sie vom Roncalli-Programm. Bei ihr hat die Alchemie gewirkt.
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