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Inspiring. Circus. Arts.

Das Online-Journal Inspiring. Circus. Arts. blickt hinter die Kulissen. Wir erkunden Trends, Herausforderungen und kreative Prozesse in den Zirkuskünsten, regen Debatten an, stellen junge Talente und führende Experten der internationalen Zirkusszene vor. 

Magic Circus - auf Tour durch Hollands Großstädte

Ein Ensemble voller Spielfreude - das Team 2025 von Magic Circus (c) Daniel Burow
Ein Ensemble voller Spielfreude - das Team 2025 von Magic Circus (c) Daniel Burow

Wer zwischen Anfang März und Ende November in den Niederlanden durch die Stadtviertel von Amsterdam, Rotterdam, Utrecht, Leiden oder Alkmaar fährt, der erblickt früher oder später ein kleines weiß-lila gestreiftes Zirkuszelt. Es ist das Zelt des Magic Circus, des „niederländischen Stadtzirkus“, wie er sich selbst nennt. Denn der kleine aber feine Reisezirkus von Maurice Veldkamp bereist nur die Wohnviertel dieser Städte und einige Gemeinden in deren Umkreis. Jedes Jahr den gleichen Platz zur gleichen Zeit, mit immer neuem Programm. Dabei hilft die Tatsache, dass Zelt und wenige Wagen auch auf die kleinsten Plätze passen. Den Platz wechselt der Magic Circus typischerweise zweimal die Woche. So kommt der Zirkus zu seinem Publikum, die Wege sind kurz, die Publikumsbindung hoch.


Mit diesem Konzept hat sich der Magic Circus zum einzig verbliebenen klassischen Tourneezirkus mit Tour von Frühjahr bis Herbst in den Niederlanden gemausert. Maurice Veldkamp hat seinen Zirkus mit einer Mischung aus unternehmerischem Geschick, viel Herzblut und Macher-Mentalität als feste Größe in der holländischen Zirkuslandschaft etabliert.


Zirkusidylle auf kleinen Plätzen (c) Daniel Burow
Zirkusidylle auf kleinen Plätzen (c) Daniel Burow

Seine Zirkuskarriere startete Maurice Veldkamp in jungen Jahren 1976 hinter den Kulissen, im Büro für verschiedene Zirkusproduktionen. Aus dieser Zeit stammen die Erfahrungen, die ihn auf das spätere Konzept brachten: „Großstädte laufen besser als kleine Dörfer“, beschreibt er die Beobachtung bei Tourneen durch ganz Holland. Warum also nicht auf die gut laufenden Orte konzentrieren?


Bekannt wurde Maurice Veldkamp vor allem als Ansager des Weihnachtszirkus Ahoy in Rotterdam – eine Rolle, die er bis 2010, insgesamt 31 Jahre lang, innehatte. Im Jahr 1987 unternahm er den Schritt zum Zirkusdirektor. Zusammen mit Wim de Jong ging man mit einer Wassershow als „Aqua Circus“ auf Tour. Danach einige Jahre als „Circus Royal“. Als der Gründer des kleinen „Circus Piste“, Willem Boekschooten, verstarb, kaufte Maurice Veldkamp zusammen mit Rob Ritman kurzerhand das Unternehmen und führten es gemeinsam weiter. Willem Boekschootens Sohn Jofri blieb dem Unternehmen treu – er ist heute noch als Clown mit dabei.


Clown Jofri ist Wegbegleiter der ersten Stunde (c) Daniel Burow
Clown Jofri ist Wegbegleiter der ersten Stunde (c) Daniel Burow

Sein Programmkonzept beschreibt Maurice Veldkamp als „Missing Link“ zwischen klassischem und modernem Zirkus. Im Kern präsentiert er klassische Nummernprogramme mit Artistik und Clownerie. Kleintiere gehörten auch oft dazu, für andere Tiere wäre das Zelt zu klein und die Bühne ungeeignet. An das vieldiskutierte Thema „Tiere im Zirkus“ geht er pragmatisch heran: „Ich selbst liebe Tiere, habe aber keine Ahnung von ihnen“. Die Nummern ähnelten einander oft und er fragt sich, ob das Publikum die Unterschiede erkennt. So sind die Tiere über die Jahre weniger geworden. „Man kann ein Programm besser konzipieren, wenn keine Tiere dabei sind“, stellt er für sich fest.


Was macht Magic Circus nun modern, was macht seine Shows besonders? Entscheidend ist vielleicht, dass er das kreative Potenzial seiner Artisten ausschöpft, dass er Mut zum Experimentieren hat. Beim Magic Circus zählt der Ensemblegedanke und so sieht man trotz der geringen Größe Gruppendarbietungen, die andernorts selten werden. „2000 hatte ich ein Schleuderbrett mit Fünf-Mann-Hoch“, erinnert er sich stolz, „da wurde mir bewusst, dass es ein großer Schritt in der Qualität war“. Damals reiste ein „Rumänischer Staatscircus“ mit mäßigem Erfolg durch Holland. Das Unternehmen wurde eingestellt, die Truppe wollte bleiben und so nutzte Maurice Veldkamp die Gunst der Stunde.


Ada Sainio - Handstandakrobatik aus Finnland (c) Daniel Burow
Ada Sainio - Handstandakrobatik aus Finnland (c) Daniel Burow

Ansonsten ist die Programmgestaltung jedoch alles andere als dem Zufall überlassen. Jedes Jahr schaltet er Inserate in den Sozialen Medien: „Run away with the Circus to Amsterdam”. In diesem Jahr hat ihn die Bewerbung einer Gruppe junger finnischer Artisten überzeugt. „Finnland ist ein kleines Land, aber hat viele junge Leute, die Zirkus machen und lieben“, stellt er fest. Bereits im vergangenen Jahr beschäftigte er mit dem Reifenjongleur Roni Heimo einen finnischen Artisten. In diesem Jahr bestreiten die Artisten der Usva Company einen Großteil der Show. Fünf Personen des insgesamt neun Personen starken Kollektivs sind mit auf Tour. Sie alle besuchten gemeinsam die Zirkusschule von Lahti ab, bevor sie sich zusammentaten, um diverse Solo-, Duo- und Gruppenacts, wie auch ganze Shows anzubieten.


Die zwischen 22 und 28 Jahre alten Artisten hatten Lust darauf zu reisen, im Zelt aufzutreten, das altmodische Zirkusleben mitzumachen. Ihre Vielseitigkeit trägt große Teile der diesjährigen Magic-Circus-Show „VALO“. Lukas Peurala ist auf dem Einrad zu erleben, Linnea Lohela mit akrobatischem Tanz. Roosa Pyoria beherrscht die seltene Disziplin des Washington Trapezes, Ada Sainio kombiniert Handstandakrobatik mit Kontorsion und Jaakko Kallioniemi wirkt in den akrobatischen Gruppenszenen mit.


Akrobatik mit LKW-Reifen (c) Daniel Burow
Akrobatik mit LKW-Reifen (c) Daniel Burow

Nach Tourende widmen sich die Artisten der Usva Company wieder ihren eigenen Showprojekten. Zuletzt präsentierten sie 2024 die familientaugliche, einstündige Show „KINNI“. Dass die finnischen Artisten Erfahrung im gemeinsamen Kreieren haben, nutzte Maurice Veldkamp auch dafür, eine eigene Idee umzusetzen. Von einer Nummer mit großem LKW-Reifen vor einigen Jahren waren das Material und die Grundideen noch vorhanden, mit Usva legte er die Darbietung neu auf. Dabei wird die Federwirkung der Reifen für interessante Bewegungsfolgen genutzt.


Neben den fünf Finnen und dem langjährigen Komiker Jofri sind noch die Seiltänzerin Felicity Lucy sowie Anka Jednorowicz an der Luftspirale im Programm. Hinter den Kulissen ist Jofri Boekschooten, ebenfalls für Licht und Ton verantwortlich. Und auch um PR und Marketing kümmert sich jemand, der in der holländischen Zirkusszene bestens bekannt ist. Der Zirkusliebhaber, -sammler und -fotograf Piet -Hein Out ist seit nunmehr fast 10 Jahren für den Magic Circus tätig.


Maurice Veldkamps Freude am gemeinsamen Kreieren mit seinen Artisten endet auch auf der laufenden Tournee nicht – es wird fortlaufend an der Show gefeilt. Eine Devise von ihm: Eine Show muss leben, man darf Ideen ausprobieren, auch vor Publikum ihre Wirkung testen. Im Sommer kam Roos Hermanides vom Duo Musa, das zuvor schon mehrmals bei Magic Circus engagiert war, für einige Tage dazu. Sie hat mit ihrem Gespür für Regie einiges umgestellt, individuelle Stärken und Gruppenzusammenwirken noch mehr herausgearbeitet. „Ich kann was mit der Show machen, darf ich?“, fragte sie Maurice Veldkamp – und er schenkte ihr das Vertrauen, es umzusetzen. Auch nächstes Jahr wird sie Regie führen.


Magic Circus ist mit Olditimer-LKWs auf Tour (c) Daniel Burow
Magic Circus ist mit Olditimer-LKWs auf Tour (c) Daniel Burow

So ist der Magic Circus ein wunderbares Beispiel dafür, wie auch in einem klassischen Zirkuskonzept Kreation „bottom up“ anstatt nur „top down“ gedacht werden kann. Die richtigen Artisten finden und sie dann ihre volle Kreativität und Spielfreude ausleben zu lassen, das ist sicherlich ein Rezept für den Erfolg von Magic Circus. Ein anderer Aspekt ist das durchdachte Tourneekonzept und das schnelle wie flexible Reisen.


Das Zelt benötigt keinerlei Anker. Alle Absegelungen sind an schweren LKW befestigt anstatt an Eisenankern, die Masten werden aus einem Wagen hochgekurbelt, der zugleich die Bühne darstellt. Die LKW, die wie ein Teil des Bühnenbildes um das Zelt herum stehen, sind echte Oldtimer – nicht nur aus Gründen der Nostalgie, sondern auch weil Oldtimer von den LKW-Einfahrbeschränkungen in holländische Innenstädte ausgenommen sind. Einen Stromanschluss am Platz benötigt man nicht, ein eigener Generator ist immer mit dabei. Und auch auf einen Wasseranschluss wird in der Regel verzichtet und stattdessen mit Vorratstanks gearbeitet. So wird das Reisen weniger komplex.


„Große Zirkusse bedeuten auch große Probleme“, begründet Maurice Veldkamp, warum er auf ein kleines, kompaktes Unternehmen setzt und nicht darüber hinaus wachsen möchte. Der nachhaltige Erfolgt gibt ihm Recht.

 

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