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Inspiring. Circus. Arts.

Das Online-Journal Inspiring. Circus. Arts. blickt hinter die Kulissen. Wir erkunden Trends, Herausforderungen und kreative Prozesse in den Zirkuskünsten, regen Debatten an, stellen junge Talente und führende Experten der internationalen Zirkusszene vor. 

Wolfgang Hoffmann – Künstler, Netzwerker, Grenzgänger

Wolfgang Hoffmann ist mit seiner Agentur Aurora Nova heute führend in der internationalen Vermarktung von neuen Zirkusformen. (c) Jim Croft
Wolfgang Hoffmann ist mit seiner Agentur Aurora Nova heute führend in der internationalen Vermarktung von neuen Zirkusformen. (c) Jim Croft

Wolfgang Hoffmann, Gründer der Agentur Aurora Nova, ist eine der zentralen Figuren, wenn es um die internationale Verbreitung innovativer Zirkus- und Performance-Formen geht. Sein Weg dorthin ist geprägt von Brüchen, Neuanfängen und einer unermüdlichen Neugier auf neue künstlerische Ausdrucksformen - ein Weg, der den gelernten Werkzeugmacher von der ostdeutschen Freien Tanzszene bis zu den großen Festivals der Welt führte.


Geboren und aufgewachsen in der DDR, strebte Wolfgang Hoffmann zunächst vergeblich eine Schauspielkarriere an. Nach seiner Armeezeit tauchte er in die alternative Kulturszene Potsdams ein. Ohne formale Tanzausbildung, aber mit einem starken Ausdruckswillen entdeckte er seine Sprache im Tanz – insbesondere in der Kontaktimprovisation. In dieser akrobatiknahen Form des Tanzes geht es darum, in der Interaktion miteinander Gewicht zu geben und es gegenseitig anzunehmen und sich in eine Richtung lenken zu lassen, die nie hundertprozentig vorhersagbar ist. „Diese Art von Kommunikation, die gleichzeitiges Nehmen und Geben ist, Reden und Zuhören, fand ich fantastisch“, erinnert er sich. Diese Faszination sollte seine weitere Laufbahn prägen.


Mit der Wende kamen neue Freiräume. Wolfgang Hoffmann und seine Mitstreiter besetzten eine alte Fabrik in Potsdam, gründeten ein Zentrum für Tanz, veranstalteten Konzerte und schufen schließlich das heute noch existierende Festival „Potsdamer Tanztage“. Diese Do-it-yourself-Kultur, die Offenheit für neue Formen und die Zusammenarbeit mit internationalen Künstlern legten das Fundament für Wolfgang Hoffmanns weiteres Schaffen.


Wolfgang Hoffmann in seiner Zeit als Performer
Wolfgang Hoffmann in seiner Zeit als Performer

Es folgten die ersten eigenen Tanzstücke, mit denen er und sein Kollektiv zunächst durch Osteuropa getourt sind. In St. Petersburg trafen sie auf eine Gruppe sehr talentierter Ausdruckstänzer, mit denen sie zusammen ein Stück kreierten. Damit sollte 1998 der Durchbruch in Edinburgh kommen. Die Produktion fand dort auf dem berühmten Fringe Festival große Beachtung. Doch Hoffmann erkannte schnell auch die Schattenseiten dieser Plattform: das immense finanzielle Risiko für Künstler, die Unsicherheit des Erfolgs. Seine Antwort: Aurora Nova – ein alternatives Festivalmodell innerhalb des Fringe, bei dem Gruppen sich gegenseitig unterstützten, Einnahmen teilten und gemeinsam das Publikum aufbauten. Der Name, eine ironische Anspielung auf den Panzerkreuzer „Aurora“, von dem der erste Schuss bei der Oktoberrevolution ausging, war Programm: Revolutioniert werden sollte nicht nur die Art, Shows in Edinburgh zu präsentieren. Auch die Inhalte brachten in den kommenden sieben Jahren immer wieder Innovatives aus aller Welt zum Finge.


Aurora Nova wurde schnell zur Talentschmiede für Gruppen, die zwischen Tanz, Theater, Akrobatik und Performance changierten. Wolfgang Hoffmann brachte Acts auf die Bühne, die für das britische Publikum bis dahin unvorstellbar waren. „Keine Ahnung, was ich gerade gesehen habe und wie ich es einordnen soll, aber irgendwie war es großartig“, fasst er die Stimmung zusammen, die er beim Publikum erzielte. Seine Suche nach immer neuen genreübergreifenden Performances fiel zeitlich mit dem Aufkommen neuer Zirkusformen überein. Doch vermied es Wolfgang Hoffmann, die von ihm präsentierte Kunst in Schubladen einzuordnen. Vielleicht ein Erfolgsrezept: Sowohl Zirkus als auch Physisches Theater hatten in Großbritannien damals ein eher schlechtes Renommee.


Frühe Anerkennung in Edinburgh - beim Empfang des "The Scotsman Fringe First Awards"
Frühe Anerkennung in Edinburgh - beim Empfang des "The Scotsman Fringe First Awards"

Seine Karriere führte ihn weiter nach Dublin, wo er schnell realisieren musste, vor welchen Herausforderungen er stand. Sei Vorgänger hatte das Festival stark international ausgerichtet, er selbst wurde mit Blick auf sein Händchen für interessante internationale Produktionen, aber ohne jedes Wissen über irisches Theater, für den Job ausgewählt. Doch das Publikum, so stellte er fest, ging eigentlich nur zu den Shows lokaler Künstler. „Der Durchschnitt der Ticketverkäufe in den kleinen Spielstätten dort war sieben Tickets pro Show“, erinnert er sich, „wenn ich jetzt meine Gruppen, die ich in Edinburgh präsentiert hatte nach Dublin bringe, da würde ich keine Freunde mehr haben nach der ersten Saison.“ Die Lösung des Dilemmas sollte „Le Clique“ bringen, eine australische Gruppe, die ein wildes Cabaret-Programm bot, das ihn an das „Mitternachtsvarieté“ im Berliner Chamäleon der frühen 90er-Jahre erinnerte. Ihr Varietéprogramm, das mit Rollenbildern spielte, viel Comedy enthielt und im Spiegelzelt präsentiert wurde, schlug ein. „Das hat das Festival wahnsinnig nach außen geöffnet“, blickt Wolfgang Hoffmann zurück. 


Nach vier Jahren Dublin zurück in Berlin wurde Hoffmann von „Circle of Eleven“, der damaligen Produktionsfirma des Chamäleon-Theaters, engagiert, ursprünglich für die internationale Expertise. Schnell wurde ihm klar, dass der Direktor Volker Brummer vor allem jemanden für den Vertrieb brauchte, um Produktionen wie Leo international zu vermarkten. So schlüpfte Wolfgang Hoffmann von der künstlerischen Arbeit als Kurator erstmals in die Rolle des Verkäufers.


Mit der Geburt seiner Zwillingssöhne kam die nächste Wende: Während seiner Elternzeit stellte „Circle of Eleven“ den Betrieb ein und er stand plötzlich ohne Job da. Er entschied sich für ein Wagnis: Sein Büro in den Hackeschen Höfen in Berlin Mitte behielt er – fortan als sein eigener Chef der neu gegründeten Agentur unter dem vertrauten Namen „Aurora Nova“.

Beim Sprung in die Selbstständigkeit kamen ihm seine Eigenschaften als Autodidakt und Generalist zugute: „Ich habe mich immer als Künstler begriffen, aber auch als Hans Dampf in allen Gassen“, erklärt er, „ich habe mir immer alles learning-by-doing beigebracht“. Schon während seiner Zeit als Künstler beschreibt er sich als jemanden mit „von allem ein bisschen Ahnung“, was bei ihm durchaus Selbstzweifel genährt hatten. Doch wenn man nach dem Erfolgsrezept im Leben des heute wohl renommiertesten Agenten für zeitgenössischen Zirkus sucht, dann ist es vielleicht die Fähigkeit, Selbstzweifel in Erfolg zu transformieren. Das fängt mit dem riskanten Schritt an, als junger, noch unbekannter Künstler nach Edinburgh zu gehen. „Das hat auch damit zu tun, dass ich das Gefühl hatte, ich brauchte die Bestätigung vom Publikum (…) Anstatt immer wieder Almosen vom Staat zu bekommen, um ein neues Stück machen zu dürfen, wollte ich lieber, dass Leute Geld dafür bezahlen, die Show zu sehen“, erklärt er die Entscheidung.


Selbstzweifel begleiteten auch die ersten Schritte in das Agenturgeschäft. Wurde er als Festivalleiter noch überall mit offenen Armen empfangen, musste er sich nun jedes Showticket selbst kaufen, die Begegnungen wurden distanzierter. Hinzu kommt die wirtschaftliche Herausforderung: „Als Agent wirst du bezahlt zwei Jahre, nachdem du die Arbeit gemacht hast“. 


A Simple Space, das Erstlingswerk von Gravity & Other Myths (c) Steve Ullathorn
A Simple Space, das Erstlingswerk von Gravity & Other Myths (c) Steve Ullathorn

Doch schon bald stellte sich der Erfolg ein und Wolfgang Hoffmann landete den ersten großen Coup mit seiner Agentur: Er entdeckte beim Edinburg Fringe die damals noch völlig unbekannte australische Kompanie „Gravity & Other Myths“ mit ihrer Show „A Simple Space“. Sie läuft noch heute mit Erfolg – derzeit nur wenige Meter vom Ort unseres Gesprächs entfernt im Chamäleon Berlin. „Ich war völlig begeistert“, erinnert er sich an die Anfangszeit, als er die jungen Künstler erstmals gesehen hatte. Noch am selben Abend bot er ihnen an, sie zu vertreten – ein Angebot, das sie sofort annahmen. Innerhalb weniger Tage organisierte Hoffmann eine 100-tägige Tour – eine beachtliche Leistung, besonders für eine so junge Truppe. „Es war noch nicht besonders gut bezahlt, aber eine richtig solide Tour", sagt er rückblickend nicht ohne Stolz. Dabei half ihm sein umfangreiches Netzwerk aus der Zeit als Künstler und Festivalleiter.


Hoffmanns Auswahlkriterien für neue Produktionen beruhen in erster Linie auf einem einfachen, aber wirkungsvollen Prinzip: „Wenn ich mit Herz gucke und begeistert bin, dann weiß ich, dass ich es gut vertreten kann.“ Daneben gibt es viele pragmatische Elemente, die beeinflussen, ob eine Show fürs Touren geeignet sind. Doch ist Wolfgang Hoffmann über die Jahre selbstischerer geworden in Bezug auf seine Auswahl: „Witzigerweise habe ich gerade am Anfang oft Entscheidungen getroffen, bei denen ich dachte ‚ich liebe es zwar nicht 100-prozentig, aber das lässt sich gut verkaufen‘ und diese Sachen haben in er Regel nicht funktioniert.“  Produktionen, die zunächst unrealistisch erschienen, entwickelten sich andererseits überraschend gut. Das aktuelle Beispiel für seine Treffsicherheit beim Aufspüren neuer Trends und Talente ist die kanadische Company „People Watching“, über die wir hier im Blog bereits berichteten. Das junge Kollektiv wurde im vom Kollegen David Dimitri empfohlen, der die Premiere von „Play Dead“ sah. Aurora Nova nahm die Show nach Sichtung des Videos unter Vertrag, was eine große Ausnahme darstellt, und vermittelte sie 2024 an das Festival Montréal Complètement Cirque.


Anders als klassische Agenturen versteht sich Aurora Nova als eine Art „Boutique-Agentur“. Der Fokus liegt auf einzelnen Shows – nicht auf dem Aufbau exklusiver Künstlerverträge. "Wir vertreten Künstler so lange, wie es sich für beide Seiten richtig anfühlt“, erklärt er, „wir befähigen unsere Künstler ihre eigenen Netzwerke aufzubauen, so dass sie - falls uns deren nächste Arbeit nicht überzeugt - ihren Vertrieb selbst weiter machen können.“ Diese Struktur erlaubt maximale Flexibilität – für beide Seiten. „Wir arbeiten komplett transparent und verlangen keine Beteiligung an Folgeprojekten, nur weil wir einmal vermittelt haben”, so Wolfgang Hoffmann. Dieser offene und faire Ansatz hat ihn in der Szene sehr beliebt gemacht – nicht zuletzt bei Künstlern.


Angesprochen darauf, ob es ihn reizt, selbst mal als Veranstalter zu arbeiten, winkt Wolfgang Hoffmann ab. „Ich sitze zu oft in Veranstaltungen, die mich nicht begeistern – und die sind ausverkauft“, sagt er. Seinem eigenen Geschmack so sehr zu vertrauen, dass er Karten verkaufen und das volle Risiko tragen würde, ist seine Sache nicht. Was ihn hingegen immer antreibt, ist die Suche nach Kunst, die einen breiten Zugang bietet, ohne an Qualität und Anspruch zu verlieren – ein Anforderungsspektrum, das gut auf viele Produktionen moderner Zirkusformen passt.


Zusammen mit seinen Mitarbeitern prägt Wolfgang Hoffmann heute die Theater-, Tanz- und Zirkuslandschaft. Er ist ein Brückenbauer zwischen Künstlern und Veranstaltern und hat sich die Begeisterung, die in einst in die Kulturszene brachte, bewahrt. Und sein Erfolg zeigt, dass diese echt gefühlte Begeisterung der beste Kompass ist.

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