Als Regisseurin, Choreografin und Produzentin ist sie in mehreren Welten zu Hause. Anett Simmen hat klassische wie auch zeitgenössische Zirkusshows inszeniert, für Varietés und Events gearbeitet. In Potsdam zu Hause, leitet sie die von ihr gegründete Company VoLA Stage Art. Ich sprach mit ihr in Krefeld kurz nach der Premiere des dortigen Weihnachtscircus des Circus Probst.
„Fairytales“ ist der Titel zweier Shows, die du gerade für den Circus Probst inszeniert hast und die nun beim Gelsenkirchener und Krefelder Weihnachtscircus zu sehen sind. Wie würdest du den Stil der Shows beschreiben?
Märchenhafter Zirkus mit Musical-Elementen und mit vielen Darbietungen des klassischen traditionellen Zirkus.
Zirkus und Musical scheint eine beliebte Kombination zu sein. Der Paderborner Weihnachtscircus etwa pflegt sie schon seit seinem ersten Jahr. Und auch der Cirque du Soleil hat mit Paramour beide Kunstformen gemeinsam auf die Bühne gebracht. Was macht diese Verbindung für dich aus?
Musicalmelodien sind eingängige Melodien, die viele Menschen kennen. Musicals sind eher der leichten Kunst zugeschrieben. Genau wie der traditionelle Zirkus zieht das Musical sein Publikum über das Element der Unterhaltung. Es geht um schöne Momente, leichte Momente, manchmal auch ein bisschen Drama, klar, aber es sind keine schweren Stoffe. Das Musical packt ein Thema auf eine sehr einfache, einprägsame Art und Weise an, die tiefe Emotionen weckt.
Nun muss man in solch einer Produktion nicht nur Kunstformen zusammenfügen, sondern auch Künstler. Wie ist es, mit Schauspielern oder Sängern, die nicht vom Zirkus kommen, in einer Zirkusproduktion zu arbeiten?
Ziemlich interessant. Es gibt sehr unterschiedliche Ansätze. Die einen lieben es gleich und finden das alles ziemlich spannend und lustig. Andere sind erstmal völlig geschockt von der Art und Weise, wie im Zirkus geprobt wird. Zum Anfang ging mir ähnlich: Wie bekomme ich eine Probensituation zustande, wenn da nebenbei gesägt und gehämmert wird und überall etwas passiert? Das ist eine ganz andere Art und Weise zu proben, eine ganz andere Ruhe- oder Unruhesituation als im Theater.
Jetzt hast du schon deine Anfänge erwähnt. Wie bist du zum klassischen Zirkus gekommen?
Ich habe schon in meiner Jugend bei einem Artistenehepaar in Forst, nahe meiner brandenburgischen Heimat, Artistiktraining gehabt, also hatte ich relativ früh Berührung damit. Meine erste Zirkustour, die ich mitgemacht habe, war 1997. Da habe ich aber schon festgestellt, dass ich gern Zirkus machen möchte, aber ein bisschen anders. Dann bin ich über ein Choreografiestudium eine Abschlussarbeit am Theater gemacht mit Artisten und Tänzern und bin mehr und mehr von der Choreographie in die Regie gelangt. Ich habe Kinderensembles geleitet bzw. gegründet und habe alle Erfahrungen, die ich über die Jahre gesammelt habe, da zusammengesetzt.
Und dann führte dich dein Weg irgendwann zum Circus Probst und zum Weihnachtszirkus…
Zu Probst bin ich gekommen durch die Familie Leyseck, die schon in dem Zirkus war, in dem ich als erstes auch mitgefahren war 1997. Das war ein kleiner Brandenburgischer Zirkus, wo ich die erste echte Zirkusluft geschnuppert habe. Dort habe ich dann ab 2006/2007 angefangen, auch Programme zu inszenieren. Irgendwann haben die Leysecks gesagt „Mensch, wir arbeiten seit vielen Jahren beim Circus Probst im Gelsenkirchener Weihnachtscircus, komm mal mit.“ So kam es, dass ich dort begann die Regie und Choreografie zu machen.
Weihnachtszirkus ist ja ein unglaublich erfolgreiches Phänomen, nicht nur in Krefeld und Gelsenkirchen, sondern in ganz Deutschland. Wie erklärst du dir das, dass gerade Zirkus und Weihnachten so gut zusammen funktionieren?
Romantik. Das ist vielleicht auch eine Antwort auf die Frage, was Zirkus und Musical verbindet. Es hat so eine gewisse romantische Schiene. Und diese Romantik triggert uns zu Weihnachten, glaube ich. Es ist so ein besonderes Bild, ich kann es gar nicht richtig in Worte fassen, aber es hat viel mit Gemütlichkeit, Harmonie, Gefühl und Fröhlichkeit zu tun. All das bedient der Zirkus hervorragend.
Bedient das primär der klassische Zirkus, oder können das auch andere Zirkusformen bedienen?
Das können sicherlich auch andere Zirkusformen, wobei der klassische Zirkus eher darauf ausgelegt ist. Im zeitgenössischen Zirkus geht es nicht allein darum, das Publikum zu unterhalten, sondern da geht es darum, Themen zu bearbeiten, mit Elementen zu spielen, auch mal philosophisch ranzugehen. Das kann auch unterhaltsam sein, muss es aber nicht immer und hat auch nicht immer diese Romantik.
Du hast auch selbst schon an experimentelleren Zirkusproduktionen gearbeitet. Kannst du auch etwas zu dieser künstlerischen Seite von dir erzählen?
Nun ja, ich habe an der Palucca-Schule in Dresden studiert. Die ist bekannt für den Bereich moderner Tanz und Improvisation. Von daher ist es mein Anliegen, auch in dieser Tiefe zu arbeiten. Ich war viele Jahre hin und hergerissen: Kann ich das überhaupt machen, klassischen Zirkus, Showtheater und Musical und gleichzeitig zeitgenössische Produktionen? Und mittlerweile denke ich, na klar kann man das machen. Ich muss ja die Grenze dazwischen nicht setzen. Die Grenze setzen meistens die Leute, die in den einzelnen Genres unterwegs sind. Die sagen, wenn man das eine macht, könne man nicht das andere machen. Das ist völliger Quatsch. Es sind einfach zwei komplett unterschiedliche Herangehensweisen. Im Zirkuszelt weiß ich, ich habe nur wenige Tage, es läuft auf eine Premiere hinaus, da muss die Show fertig sein und dann wird sie so auch bis zum Ende gespielt. Vielleicht wird noch mal hier und da ein bisschen gefeilt, aber dann läuft das Ding durch. Mein Blick ist immer: wie kommt das beim Publikum an? Welche Reaktionen löst das beim Publikum aus?
Beim zeitgenössischen schaue ich nicht „würde das dem Publikum gefallen?“, sondern „wie erzähle ich das?“ Und dadurch kann es auch mal Längen bekommen für den einen oder anderen. Da kann ich mich intensiv mit einem Thema auseinandersetzen und dann ist es vielleicht so, dass 5 von 10 das nicht mögen werden oder anders getriggert werden, denn es geht nicht nur um die schönen Gefühle, sondern da geht es auch um den Schmerz, um die Verzweiflung oder um intellektuelle oder politische Zusammenhänge. Es gibt unfassbar viele Ansätze im zeitgenössischen Zirkus.
Wie beeinflussen deine Erfahrungen im klassischen Zirkus deine Arbeit im zeitgenössischen?
Definitiv kann ich vieles vom traditionellen Zirkus in den zeitgenössischen mit hineinnehmen. Man kann damit anfangen zu spielen, sei es mit Bewegungen, sei es mit Intentionen, sei es mit Momenten. Wie funktioniert Comedy? Wie funktioniert Entertainment? Es geht um Dramaturgie: Ich kann fühlen, jetzt würde ich im klassischen Zirkus dieses oder jenes machen, und im zeitgenössischen kann ich mir hier aber Zeit lassen und mehr in die Tiefe gehen - und weiß trotzdem, dass, wenn ich den Bogen überspanne, etwas anderes herauskommt als das, was ich eigentlich erzählen will. Das kommt aus Erfahrungen, die ich im traditionellen Zirkus gesammelt habe.
Du meinst ein Gespür dafür, wie das Publikum reagieren würde?
Vielleicht, wobei das meiner vorherigen Aussage widersprechen würde.
Ist es nicht vielleicht immer eine Mischung aus beiden? Auch zeitgenössischer Zirkus wird ja vor Publikum gespielt und ist auf die Interaktion angewiesen.
Aber auch nicht nur. Du kannst auch Installationen machen oder Verschiedenstes, das sicherlich nicht unterhaltsam ist, aber unfassbar interessant und intellektuell sehr anregend.
Und andersherum, gibt es dann Dinge vom zeitgenössischen Zirkus, die du in den klassischen übernimmst?
Ja, natürlich. Ich übernehme etwa den Ansatz, manchmal diese ruhigen Momente zu lassen und zu sagen: Haltet es aus und ihr werdet sehen, es wird dem klassischen Zirkus nicht schaden.
Comentarios